Real Time Music Meeting 1999. v.l.n.r.: Carl-Ludwig Hübsch, Birgit Ulher, Gail Brand, Albert Márkos
Jazz gab’s
nur in der Zugabe, als Cellist Albert Márkos einen walking bass ins Spiel
brachte (und damit das Ensemble merklich polarisierte). Ansonsten könnten
die beiden Abende im Hamburger Monsun-Theater als klingender Beleg der
These dienen, die improvisierte Musik «real time music», wie die Initiatoren
Birgit Ulher und Wolfgang Ritthoff sie nennen – habe sich seit ihren europäischen
Anfängen in den Sechzigern nachhaltig von ihrem Ziehvater Free Jazz gelöst
und sei zu einem Genre sui generis erwachsen. Eine Behauptung, die sicher
nicht alle Praktiker frei improvisierter Musik unterschreiben würden,
wohl aber jene, die in Hamburg an einem Septemberwochenende zu hören waren.
Der energetische Überschuss des Free Jazz, seine langen, ekstatischen
Klangbögen, seine unentwirrbar dichten Kollektive: nichts davon in der
überwiegend äußerst disziplinierten Kammermusik, die hier in Jetztzeit
gemacht wurde, in immer neuen Konstellationen der immer gleichen Akteure:
Gail Brand, Posaune; Tim Hodgkinson (ja, der von Henry Cow), Klarinette,
Saxophon, Steel-Gitarre; Carl-Ludwig Hübsch, Tuba; Bettina Junge, Flöte;
Martin Klapper, Spielzeug und Haushalts-Elektronik; Albert Márkos, Violoncello;
Jürgen Morgenstern, kontrabass und Stimme; Wolfang Ritthoff, Stimme; Roger
Turner, Perkussion; Birgit Ulher, Trompete. Eine europäische Internationale
der improvised music, so hierarchiefrei agierend, dass nur die alphabetische
Aufzählung angemessen scheint.
Doch auch, wenn Jazz hier nur als Fußnote verhandelt wurde:
Wer von den zehn Akteuren von der afroamerikanischen Musik zur freien
Improvisation fand, wer von der komponierten Neuen Musik, das war im Gestus des
Spielens sehr wohl zu vernehmen. Und gerade dieses Spektrum der Sensibilitäten
, seine immer neue Austarierung, macht den Reiz einer Suite von
ad-hoc-Ensembles aus, wie sie das Real Time Music Meeting inszeniert. Hier, im
spontanen Aufeinandertreffen, müssen sich die selbstkonstruierten
Improvisations-Vokabulare bewähren, offenbaren sich ihr Reichtum und ihre
Beschränkungen, ihre Flexibilität oder ihre Starrheit.
Und man kann es als Triumph der Methode Improvisation sehen, dass beim
Real Time Music Meeting ebenso wenige Momente von blindem Aktionismus
wie von musikalischer Sprachlosigkeit zu registrieren waren. Nein: Stars
gab es hier keine, und jeder im intimen Ambiente des Theaters konnte,
wenn er oder sie wollte, die eigenen Favoriten finden (die meinen in diesem
Jahrgang: Roger Turner, dessen ebenso dramatische wie kontrolliert punktgenaue
Dynamik die Musik mehr als einmal vor dem allzu höflichen Dahinsäuseln
rettete, und Wolfgang Ritthoff, dessen rhythmisch und gestisch intensive
Silben- und Geräusch-Artistik eine willkommene Prise von kreativem Irrsinn
in das Geschehen injizierte).Seiner Rolle als internationales Forum der
improvisierten Musik ist das Real Time Music Meeting wieder einmal bestens
gerecht geworden. Und doch mag man darüber reflektieren, ob das Festival
nach sechs Jahren nicht seinen Modus operandi überdenken könnte. Wenn
die auftretenden Formationen schon vorab festgelegt werden, warum dann
die Veranstalter-Rolle nicht noch weiter fassen? Warum (fast) nur Trio-
und Quartett-Gruppierungen, warum nicht auch einmal ein Solo, auch wenn
es den wohlausgewogenen Proporz des Jeder-spielt-gleich-häufig sprengt?
Warum nicht auch einmal thematische oder regionale Schwerpunkte setzen,
den Blick nach Italien, Frankreich oder Skandinavien schweifen lassen?
Warum nicht einmal die ein wenig nostalgische Ästhetik «handgemachter»
improvisierter Musik durch Einbeziehung neuerer Formen des instant-composing
mit Laptop, Live-Elektronik-Sampler brechen, die Schnittstellen von improvisierter
Musik und DJ-Culture beleuchten? Das Real Time Music Meeting hat sich
als qualitätsvolle Institution etabliert, als würdiges hanseatisches Pendant
des Wiesbadener HumaNoise congress oder des Berliner Total Music Meeting.
Nun wäre es möglich, mit diesem Pfund zu wuchern.