Die
Improvisation ist der herrschenden Musikkultur nicht geheuer; zu sehr
entzieht sich das Ungeregelte, Ungeordnete den gängigen Klischees, nach
denen der Wert und Zweck von Musik beurteilt wird. Die Gesellschaft, die
nach dem Grundraster von Konkurrenz und Leistung verfährt, hat die Ideologie
totaler Betriebsamkeit längst zum Leitmotiv der Kultur gemacht: Alles
muss arbeiten, alles kann nach Maßgaben geleisteter Arbeit bewertet werden:
Auch damit verliert die Kunst ihre Autonomie, die sie einmal durch Spiel-
und Freiräume reklamierte.
Das freie Spiel, ja eine verspielte Freiheit, die für die Barockzeit einst
kennzeichnend war, ist allein schon durch die fabrikmäßige Organisation
der Musik verdrängt, die im Dirigenten, sitzenden Orchester oder einer
festen Metrik ihren Ausdruck findet.
Die Kunst der Improvisation, die zusammenfiel mit der damals höheren Stellung
der Instrumentalisten gegenüber den Komponisten, ist ausgerechnet durch
den Starkult zum kalkulierten Effekt gemodelt worden, zum kruden Virtuosentum:
Schon bei Paganini oder Liszt war die Improvisation eine eingeplante Angeberei
mit Geschwindigkeit. In der populären Musik wird die Improvisationskunst
wenigstens teilweise rehabilitiert; während im Rock verschiedenster Metal-Legierungen
die spätromantische Idee der Improvisation als Fingerübung der Meister
stumpf wiederholt wird, kommen die subversiven Impulse bekannterweise
aus dem Jazz. Zwar gibt es auch hier Virtuosen, doch konzentriert sich
die Improvisation auf den musikalischen Gehalt, auf den klingenden Augenblick.
Aus dieser Weise des Improvisierens hat auch die zeitgenössische Musik
Konsequenzen gezogen: Am Ende ihrer Materialentwicklung bleibt die Improvisation
der einzige Ort des möglichen Fortschritts.
Vor drei Jahrzehnten wurde unter dem Namen des Avantgarde-Rock der Versuch
unternommen, eine experimentelle und progressive Popmusik mittels der
Improvisation zu etablieren. Vielleicht erinnert sich noch jemand an Bands
wie Henry Cow, Slapp Happy oder Art Bears, in denen sich
Musikerinnen und Musiker wie Dagmar Krause, Chris Cutler, Fred Frith und
Tim Hodgkinson zusammenfanden. Das Bandkonzept wurde schließlich zugunsten
eines offeneren Kollektivs aufgegeben. Für Hodgkinson war dies der einzige
Weg, die Improvisation weiterzuführen, sie als "Lebenshaltung, als
eine Sprache mit individuellen Vokabularen" (Peter Niklas Wilson)
zu begreifen. In diesem Sinne wird er an dem diesjährigen "Real Time
Music Meeting" teilnehmen, das heute und morgen Abend im Monsun Theater
stattfindet. Bei dem von Trompeterin Birgit Ulher und Percussionisten
Wolfgang Ritthoff organisierten, vor sechs Jahren erstmals initiierten
Festival, werden diesmal zehn Musikerinnen und Musiker zusammenkommen
und in unterschiedlichsten und wechselnden Besetzungen - vom Duo bis zum
Tutti - einen Höreindruck vom gegenwärtigen Stand der internationalen
Free-Music-Szene vermitteln. Bei diesem Festival, betonen die Veranstalter
Ulher und Ritthoff, "geht es nicht nur um die virtuose Handhabung
des Instruments, sondern auch um das Entwickeln einer eigenen Sprache".
Diese Musiksprache erinnert an das, was Adorno einmal als die "Verfransung
der Künste" bezeichnete: Sie ist vom Jazz, vom Pop, von de Klassik
ebenso beeinflusst, wie von der bildenden Kunst oder Literatur. Neben
den bereits genannten Musikerinnen und Musikern werden Bettina Junge (Querflöte),
Gail Brand (Posaune), Martin Klapper (Toys, Home-mades), Albert Márkos
(Violoncello), Carl-Ludwig Hübsch (Tuba), Jürgen Morgenstern (Kontrabass,
Stimme) und Roger Turner (Schlagzeug, Percussion) sich an dem Improvisationstreffen
beteiligen.